Weit mehr als eine Beurteilung

Mitarbeitergespräche sind weder Kaffeekränzchen noch Chef-Vorträge. Worauf die Personalabteilung und die Führungskräfte achten sollten.

Wer nicht nur Mitarbeiter, sondern Mit-Unternehmer sucht, muss nicht nur Verantwortung abgeben. Ohne konsequente Leistungsbeurteilung funktioniert es nicht. Die muss vor allem eines sein: transparent.

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Einkäufer Thomas Freund kocht vor Wut. Schon wieder muss er gegenüber einem Zulieferer Fehler seines Mitarbeiters ausbügeln. Der ist nicht erreichbar im Urlaub und hat nicht, wie abgemacht, seine Arbeit sauber übergeben. Stattdessen muss sich der Abteilungsleiter jetzt die Informationen mühsam zusammensuchen und steht gegenüber dem Zulieferer wie ein Depp da.

Solche Szenen kommen in Unternehmen immer wieder vor. Meistens sind die Vorgesetzten selbst schuld, wenn ihre Mannschaft ohne Eigenantrieb arbeitet. Der Grund: Viele scheuen sich, ihren Mitarbeitern Verantwortung zu übertragen und mit ihnen Ziele zu vereinbaren. Doch ein guter Chef versteht sich als Coach, der Regeln festlegt und jedem Einzelnen Feedback und Anerkennung für seine geleistete Arbeit gibt.

Ein wichtiges Instrument dafür: Mitarbeitergespräche. Vor Jahren als moderne, kooperative Führungsmethode entdeckt, die Mitarbeiter motivieren soll, spalten sie heute Unternehmen. Schlimmer noch: Nach einer Podiumsdiskussion im vergangenen Jahr äußerten sich 95 % der Zuhörer kritisch gegenüber einem regelmäßigen Austausch zwischen Chef und Mitarbeiter. Meines Erachtens sind daran abstruse Ideen und unausgegorene Strategien aus der Chefetage oder aus der Personalabteilung schuld. Das Resultat sind Jahresgespräche, die kurz vor Weihnachten das vergangene Jahr bilanzieren sollen. Das Urteil fällt der Chef mit einem viertelstündigen Vortrag. Er sagt, was alles schief gelaufen ist und künftig unbedingt anders werden muss. Anschließend folgt eine viertelstündige Verteidigungsrede des Mitarbeiters, warum es eben nicht besser ging. Und eine Lösung, wie es nun befriedigend für beide Seiten weitergehen soll, wird nicht gefunden. Und nächstes Jahr: same procedure.

Unter diesen Umständen sind Mitarbeitergespräche eine lästige Farce. Die gesamte Unternehmenskultur passt nicht mehr in die heutige Zeit. Mit dieser Fehlervermeidung und diesem Absicherungsverhalten werden derartige Unternehmen kaum überleben. Denn vor allem die junge Generation sucht regelmäßiges Feedback, auch und gerade, wenn es nicht rund läuft. Sie weiß, dass in der schnelllebigen Zeit eine erreichte Position in einem Unternehmen keine langfristige Sicherheit bietet. Ihr einziges Kapital ist das (Umsetzungs-)Wissen und das veraltet in Zeiten der digitalen Transformation unfassbar schnell. Lernen dagegen geschieht in der Auseinandersetzung mit Kunden, Kollegen und einem erfahrenen Vorgesetzten. Doch auch die – oft noch durch großes Fachwissen in die Führungsrolle gekommen – müssen dazulernen. Fachwissen begründet immer seltener die Führungsrolle, gefragt sind dagegen kommunikative und emotionale Fähigkeiten.

Hilfreiche Tipps

1. In Unternehmen, die Mitarbeitergespräche »verordnen«, müssen Personalabteilungen den Führungskräften einen Leitfaden an die Hand geben und sie in der Führungsrolle schulen und entwickeln. Auch wenn dies hoch bezahlte und kreative Menschen sind, ist das kein Kriterium, dass sie es schon packen werden. Was passiert, ist, dass sich kein Standard im Unternehmen entwickelt, sondern jeder Vorgesetzte nach eigenem Gusto vorgeht: Von Smalltalk über Das-wollte-ich-Ihnen-immer-schon-mal-sagen bis zur Vergangenheitsbewältigung ist dann alles drin. Die Personalabteilung muss den Ablauf und die Themen, die angesprochen werden, etwa Fachkenntnis, Flexibilität oder Zielvereinbarung grob festlegen. Denn nur dann können sich Führungskraft und Mitarbeiter sinnvoll vorbereiten. Und nur dann kann ein sinnvolles Ergebnis erzielt werden, das die künftige Arbeit positiv beeinflusst.

2. Ein jährliches Mitarbeitergespräch reicht nicht. Es passiert innerhalb eines Jahres viel zu viel. Vor allem gibt es keine Gelegenheit, schnell nachzusteuern. Der Zeitmangel im Management mag eklatant sein. Doch auf der Führungsebene wird Geld hoffentlich nicht durch operatives Geschäft verdient, sondern durch Mitarbeiterführung. Das Gespräch drückt Wertschätzung für die Mitarbeiter aus. Schon deshalb sollten sich Führungskräfte dafür Zeit nehmen. Es ist die Gelegenheit, mit mehr Ruhe wichtige »Knackpunkte« zu besprechen, für die im Alltag tatsächlich oft die Zeit fehlt. Und richtig geführt haben die Treffen einen Effekt, der die investierte Zeit um ein Vielfaches rechtfertigt. Sie sollten pro Jahr drei Mal geführt werden: zu Anfang des Jahres, damit der Mitarbeiter weiß, wohin die Fahrt des Unternehmens geht und was er dazu beitragen kann. Mitte des Jahres, um nachsteuern zu können. Und im Herbst, um für die Erreichung der Jahresziele nochmals zu motivieren.

3. Je nach Abteilungsgröße können Leiter nicht mit allen Mitarbeitern reden. Nicht nur, dass sich durch übermäßige Häufung eine schlechte Routine entwickelt und sich der Mitarbeiter wie beim Arztbesuch vorkommt – als Nummer durchgeschleust. Das Vorhaben ist auch zeitlich oft unrealistisch. Führungskräfte können höchstens zwölf Mitarbeiter intensiv und persönlich begleiten; in großen Abteilungen also mit den engsten Mitarbeitern sprechen, die dann kaskadenförmig wieder mit ihren Kollegen Mitarbeitergespräche führen.

4. Das Mitarbeitergespräch ist weit mehr als eine Leistungsbeurteilung durch den Vorgesetzten. Sie ist zwar ein wichtiger Part des Gesprächs. Aber es ist ein Gespräch! Ein Austausch! Das bedeutet, der Vorgesetzte muss sich auch die Sichtweise seines Mitarbeiters anhören. Im Idealfall gibt es sogar alle zwei Jahre eine Beurteilung der Führungskräfte durch die Mitarbeiter. In Ausnahmeunternehmen wählen die Mitarbeiter inzwischen sogar ihren Chef. Zurück zum Mitarbeitergespräch: Wenn beide sich auf eine Einschätzung der Fähigkeiten, des Engagements und der Leistung geeinigt haben, ist es wichtig, daraus Konsequenzen zu ziehen: Vielleicht sind die Arbeitsbedingungen zu verbessern, vielleicht ist Weiterbildung notwendig und vielleicht sitzt jemand am falschen Arbeitsplatz. Bis zum kommenden Mitarbeitergespräch sollten entsprechende Meilensteine für die notwendigen Veränderungen festgelegt werden. Nur so sind Mitarbeitergespräche wirklich sinnvoll gestaltet. Übrigens: In der Regel reden Vorgesetzte 80 % der Zeit. Das ist grundverkehrt. Die Mitarbeiter sollten 80 % Redezeit bekommen. Denn sie wissen an ihrem Platz am besten, wie sie ihn effektiver gestalten können.

5. Führungskräfte verfügen nicht qua Position über ausreichende kommunikative Fähigkeiten für Mitarbeitergespräche. Die Arbeitswelt wird nicht nur digitaler, sondern auch kommunikativer. Unternehmen insgesamt müssen sich offener und transparenter präsentieren, um Mitarbeiter zu gewinnen. Das muss vor allem gelebt werden. Etwa in Mitarbeitergesprächen. Deshalb kann dort auch viel Vertrauen verspielt werden. Zudem können kritische Situationen entstehen, wenn die Leistungsbeurteilung des Vorgesetzten von der des Mitarbeiters stark abweicht oder wenn Konfrontationen über die nächsten Karriereschritte entstehen. Empathie und Kommunikationsfähigkeit sind Teil der Persönlichkeitsentwicklung einer Führungskraft und können entwickelt werden.

Schreiben Sie einen Kommentar!


*

Knoblauch-Joerg

Gastautor

Jörg Knoblauch

ist Geschäftsführer der Beratungsfirma Tempus-Consulting. Seine Spezialgebiete sind Personalfragen und die Führung mittelständischer Betriebe. Daneben ist er als Buchautor und Redner tätig.

www.abc-personal-strategie.de