Wissen, was man weiß

Über verlorenes Wissen und verlorenes Geld und wie Führungskräfte Wissenstransfer unterstützen können.

Die Entwicklung weg von einer Industrie- und hin zu einer Wissensgesellschaft – seit den 1950er-Jahren – erhöht die Bedeutung von Information und Wissen und macht diese zu den wichtigsten Produktionsfaktoren für Unternehmen. Explizites Wissen ist formulier- und reproduzierbar, während implizites Wissen gekoppelt an Erfahrungen, verknüpft mit Handlungen und abhängig vom Kontext ist. Fast 90 % des Wissens in der Organisation sind jedoch implizit gebunden. Es gibt Indikatoren, dass Führungskräfte zwei Drittel ihrer Informationen durch persönliche Gespräche oder Telefonate erhalten, während schätzungsweise mehr als 30 % der Arbeitszeit für das Suchen nach Informationen verwendet wird.

Wissensquellen

In jedem Unternehmen gibt es 3 Hauptgruppen von Wissensquellen:
1. Menschen, die Wissen besitzen, können dieses bestmöglich in Dokumenten verschriften und ablegen, z. B. in Form von Prozessbeschreibungen. Das kann aber auch noch in anderen Formen sein: z. B. WIKIs oder Checklisten. Das Wichtigste hierbei ist, diese Dokumente gut aufzubereiten und breiten Gruppen zugänglich zu machen.

2. Gleichzeitig sind die Menschen aber selbst besonders wichtige Wissensquellen. Denn die Menschen, die das Wissen verschriftlicht haben, besitzen meist noch viel mehr (Erfahrungs-)Wissen als einfach ablegbar wäre. Daher ist es auch zusätzlich wichtig, Menschen auffindbar und zugänglich zu machen, die bestimmtes Wissen besitzen, z. B. durch Experten-Datenbanken.

3. Es gibt aber auch noch jene Wissensquellen, die erst durch Interaktion, den Austausch von unterschiedlichen Wissensträgern, entstehen. Dies wird oft auch als offene Lern- und Erfahrungsstrukturen beschrieben, die meist über Abteilungsgrenzen hinweg Wissen generieren und verteilen helfen sollen, z. B. Best-Practice-Zirkel.

Soziales Dilemma

Warum funktioniert jedoch der Wissensaustausch in Unternehmen oft nicht so, wie es sich das Unternehmen erhofft? Wissensaustausch, bzw. Transfer wird oft auch als soziales Dilemma beschrieben, in dem der übergeordnete Nutzen und die individuellen Ziele kollidieren. Das Dilemma entsteht dadurch, dass die Wissens- und Informationsdokumentation immer einen relativ hohen Zeit- und Energieaufwand darstellen. Einmal abgelegt, steht das Wissen aber vielen zur Verfügung. Damit entsteht der Nutzen immer für den Wissen-Abrufenden, der Aufwand immer für den Wissen-Dokumentierenden. Rein theoretisch wäre es zeit- und energieökonomischer, das Wissen nicht zu dokumentieren und nur das Wissen anderer zu nutzen, was aber zu einer Art von Egoismus führen würde.  Fazit: Verhalten sich alle effizient, entsteht kein Wissensaustausch.

Tools für Wissenstransfer, wie beispielsweise Checklisten, FAQs, Handbücher und Prozessbeschreibungen sind gang und gäbe in vielen Organisationen. Doch warum geht noch immer viel Wissen verloren, wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen? Die vorab erwähnten Tools dokumentieren explizites Wissen, vernachlässigen jedoch implizites Wissen. Erfahrungswissen zeichnet sich durch hohe implizite Anteile aus, welche oft erst im Handeln entstehen und sich erst in Form von kompetentem Handeln in komplexen Problemlösungssituationen zeigen. Oft ist sich auch der Experte selbst über den großen Wissensschatz nicht bewusst.

Aus HR-Perspektive können des Weiteren Instrumente wie Tandems zur Einarbeitung, Workplace Shadowing, Lernpartnerschaften, Mentoring und Übergabegespräche zum Einsatz kommen. Diese klassische Form der Weitergabe von Wissen, also explizitem sowie implizitem, erfolgt zwischen Lehrling und Meister. Über Jahre hinweg wird nicht nur explizites Wissen erlernt (on the job, aber auch in der Berufsschule), sondern auch implizites Erfahrungswissen vom Meister an den Lehrling durch die tägliche Zusammenarbeit weitergegeben. Denken wir an den organisationalen Alltag, wissen wir, dass solch extensive Übergabezeiten im Fach- und Führungskräftewechsel nicht möglich sind.

Paradoxien im Wissensmanagement

Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung zeigt einige Paradoxien auf, die es zu beachten gilt:

  • Je formalisierter Wissen gemanagt wird, desto weniger erfolgt Wissensaustausch.
  • Je informaler Wissensaustausch erfolgen soll, desto mehr Führung ist erforderlich (light-touch leadership).
  • Je mehr Technologien für den Wissensaustausch zur Verfügung stehen, desto isolierter können die Experten werden.
  • Je informaler Wissensaustausch erfolgt, desto eher findet Diskriminierung statt.

Erfolgsfaktoren für Wissenstransfer in Organisationen

»Der Fortschritt lebt vom Austausch des Wissens« (Albert Einstein). Folgende Faktoren erhöhen den Wissenstransfer:
Freiräume schaffen und auch zulassen: 10 % der Arbeitszeit sollte für den Austausch mit Kollegen verwendet werden, denn dadurch wird eben wertvolles implizites Wissen weitergegeben. Hierfür ist es wichtig, auch dementsprechend Pufferzeiten einzuplanen und diese Freiräume auch zuzulassen.
Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation: Wissensbeiträge müssen sichtbar gemacht werden und Verhalten, das Wissen teilt, belohnt werden. Wird Wissen geteilt, so ist es wichtig, diese Transfererfolge auch bekannt zu machen und dafür auch auf Unternehmensebene Anerkennung zu zeigen! Wichtig: Auch hier gilt immer, Qualität der Beiträge geht vor Quantität der Beiträge.
Führungskräfte als wichtige Katalysatoren: Studien zeigen, dass Unterstützung, Rückmeldungen, Vertrauen und Offenheit zu erhöhtem Transverhalten einer Person mit dem/der Vorgesetzten und anderen Teammitgliedern führen.
Institutionalisierung von Wissenstransfer: Unternehmen, die sich systematisch mit Wissensmanagement beschäftigen, haben auch einen höheren Wissenstransfer zwischen Vorgesetzten und dem Team.

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Covarrubias

Gastautorin Barbara Covarrubias Venegas
ist ­promovierte Forscherin im ­Studienbereich Personal & Organisation der
FHWien der WKW.
barbara.covarrubias@­fh-wien.ac.at