Neue Anforderungen – neue Kompetenzen

Die Zusammenarbeit in und mit interkulturellen Teams stellen deren Mitglieder immer wieder vor Herausforderungen.

Wir leben in einer Arbeitswelt, in der räumliche und zeitliche Grenzen durch Globalisierung und Flexibilisierung verschwimmen. Die Möglichkeit, sowohl physisch am Arbeitsort zu sein, aber auch remote von überall aus zu arbeiten, führt zu einer noch nie dagewesenen Flexibilität in der Zusammensetzung globaler und virtueller Teams, die selbst Gert Hofstede in seiner berühmten Studie zu den Kulturdimensionen bei IBM in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts nie erwarten konnte. Damals lag der Fokus interkulturellen Managements auf Organisationen und ihren Expatriates, die von ihrem Stammland in ein Gastland geschickt wurden. Interkulturelle Trainings zur Aneignung von Wissen und Kompetenzen, um im Gastland angemessen und erfolgreich kommunizieren, interagieren, ein Team führen und Geschäfte tätigen zu können, waren daher sehr linear und eindimensional ausgelegt.
Heute, 50 Jahre später, stehen wir aber vor gänzlich neuen Herausforderungen und diese sind vielfach komplexer. Der Fokus liegt nicht mehr auf den einzelnen Expats, die in eine Auslandsniederlassung geschickt werden oder umgekehrt. Ganze Teams globaler, multinationaler Organisationen, aber auch Organisationen, die nur auf Länderebene agieren, bestehen aus Teams mit Mitgliedern unterschiedlicher Nationen, Kulturen, Hautfarben, Geschlechter und Identitäten, Religionen und Weltanschauungen, körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie unterschiedlichen Alters. Der Umgang mit Diversität wird unter diesen Rahmenbedingungen immer wichtiger. Daraus leite ich die Annahme ab, die diesem Beitrag zugrunde liegt: Interkulturelle Kompetenz ist heutzutage nicht mehr als linear ausgerichteter Kompetenzfokus zu sehen, sondern ist als Mindset zu betrachten, das kulturelle Diversitätskompetenz als einen Kompetenzkanon verinnerlicht, der für unterschiedliche Kontexte angewandt werden kann. Im Team heißt es, durch Offenheit und Selbstreflexion eine inklusive Teamkultur zu schaffen, die es allen ermöglicht, die eigenen Fähigkeiten bestmöglich einzubringen.

Voraussetzung: Ethnorelativismus

Ethnorelativismus wird von Milton Bennett als Selbstverständnis beschrieben, das die eigene Kultur immer in Relation zu anderen sieht. Eine Person, die dieses Mindset hat, weiß mit der eigenen Kultur umzugehen, weiß über die eigenen Wertvorstellungen und deren Ursprung Bescheid und kann diese in Relation zu anderen setzen. Dabei werden die eigenen Werte nicht als Maßstab für alles »Andere« betrachtet, sondern nur als ein Aspekt unter vielen. Im Gegenzug dazu beschreibt der Ethnozentrismus die eigenen Werte, Normen und Vorstellungen als zentral und Normmaß, als einzig »Wahres«, an dem alles andere abgeglichen wird. Das »Eigene« bekommt dabei einen höheren Stellenwert, das »Andere« wird tendenziell abgewertet. Nach Milton Bennett ist das Mindset des Ethnorelativismus die Basis, um kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten erst wahrnehmen und einordnen zu können und demnach interkulturell sensibel zu sein. Aufbauend darauf können dann interkulturelle Kompetenzen entwickelt werden.

Agile Kulturkompetenz

Kulturelle Kompetenz ist ein Set an Fähigkeiten, die es braucht, um im interkulturellen Umfeld erfolgreich agieren zu können. Paula Caligiuri (2023) prägt in diesem Zusammenhang einen neuen Begriff, den Begriff der kulturellen Agilität. Kulturelle Agilität wird als Fähigkeit gesehen, in häufig wechselnden kulturellen Kontexten agieren zu können oder in wechselnden diversen Teams zusammenzuarbeiten. Folgende Fähigkeiten werden dafür als zentral beschrieben:

  • Ambiguitätstoleranz: Die Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten gut auszuhalten und zu tolerieren.
    Empathie: Die Fähigkeit, andere Perspektiven einnehmen zu können und Normen, Praktiken und Werte sensibel zu betrachten.
  • Kultur-Bescheidenheit: das Bewusstsein, dass die eigene Kultur nur in Relation zu anderen Kulturen besteht und Wertungen vermeidet.
  • Resilienz: Die Fähigkeit, mit Rückschlägen konstruktiv umgehen zu können und diese als Teil des Lernens anzunehmen.
  • Fähigkeit zur Beziehungsbildung: Die Fähigkeit, neue Beziehungen und Netzwerke aufzubauen und von anderen und sozialen Interaktionen zu lernen.
  • Kulturneugier: Eine Haltung der Neugier anderen Kulturen gegenüber und die Freude über das Lernen anderer Kulturen, Gebräuche, Wertvorstellungen und Haltungen.

Besitzen alle Teammitglieder diese Fähigkeiten und Kompetenzen, können diverse Teams homogene Teams in ihrer Leistungsfähigkeit sogar übertreffen. Dabei ist es die Kreativität, die Problemlösekompetenz, aber auch die ausdifferenzierte Art der Entscheidungsfindung, die diverse Teams auszeichnet (DiStefano u. Maznevski, 2000). Der bewusste Umgang mit den eigenen Unterschieden und Gemeinsamkeiten und das Adressieren und Wertschätzen dieser wird als wesentliche Voraussetzung betrachtet, um auf Basis dessen eine konstruktive, neue Arbeitshaltung im Team zu integrieren. Das Bewusstsein über vielfältige Kompetenzen und Fähigkeiten ermöglicht es diesen Teams erst, dies auch in der Zusammenarbeit anzuwenden und als gesamtes Team davon zu profitieren.

Cultural Orientation Framework

Als Analyse- und Reflexionsrahmen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Team zu identifizieren, bietet sich das Cultural Orientation Framework an (Gilbert u. Rosinski, 2008). Dabei erweitert dieses Tool bekannte Ansätze um den dynamischen Aspekt auf Kultur und Kulturvielfalt und verabschiedet sich von binären, statischen Vorstellungen von nationalen Länderkulturen, die oft gängige Stereotype verstärken, anstatt sie aufzubrechen und kritisch zu hinterfragen.

Ein kurzer Online-Fragebogen (www.cofassessment.com), der losgelöst von Länderkulturen unterschiedliche Arbeitshaltungen und Normen beschreibt, ermöglicht eine eigene Einordnung. Im Anschluss an die eigene Einordnung, die jedes Teammitglied durchführt, kann dann eine offene Diskussion im Team über Unterschiede und Gemeinsamkeiten stattfinden. Das Cultural Orientation Framework eignet sich, in interkulturellen und diversen Teams die unterschiedlichen Arbeitshaltungen transparent zu machen, dann diese Vielfalt zu benennen und im Team zu reflektieren, um anschließend daran eine gemeinsame Arbeitshaltung zu definieren oder einfach die Arbeitshaltung der anderen Teammitglieder anzuerkennen.

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Gastautor
Gloria Warmuth
Academic Expert & Lecturer.
www.fh-wien.ac.at