Nobody is perfect

Neue Methoden des Wissensmanagements können eine Fehlerkultur in ihren impliziten und expliziten Teilen abbilden und so einen Wandel steuerbar machen.

Über Fehler zu sprechen, war lange Zeit tabu und liegt erst seit dem aktuellen digitalen Wandel wieder im Trend. Von der Gründerszene mit »Fuckup-Nights« bis zum CEO sprechen alle von einer konstruktiven Fehlerkultur, in der Scheitern als Teil von Lernprozessen offen angesprochen wird. Der Garant für die nachhaltige Etablierung einer konstruktiven Fehlerkultur ist die Auseinandersetzung mit dem impliziten Wissen eines Unternehmens. Es birgt den Großteil der kollektiven Intelligenz der Organisation, die sich im Laufe der Unternehmensgeschichte aufbaut und das Potenzial für Innovation, Exzellenz und die Fähigkeit der Organisation, zu lernen.

Organisationen im Wandel

Durch den digitalen Wandel, in dem sich Rahmenbedingungen ständig und rasch verändern, müssen viele Organisationen ein hohes Maß an Agilität aufbringen. Der Ruf nach einer konstruktiven Fehlerkultur wird laut, da Fehler unter diesen schnelllebigen Bedingungen unvermeidbar sind. Doch in den letzten Jahren war ein gegenläufiger Trend zu beobachten: Wissen wurde vereinheitlicht, um die Effizienz in Prozessen zu erhöhen, Arbeitsschritte in Standardprozessmodelle überführt und durch IT-Unterstützung abgesichert. Es entstand eine Null-Fehler-Toleranz und ein enges Korsett für Mitarbeiter, in dem sie nicht mehr eigenständig handelten und das sie austauschbar machte. Diese eingeschränkte Eigenständigkeit förderte eine Haltung des Fehlervertuschens. Es entstand ein Klima, das Innovation unterdrückt und in dem es keinen Spielraum gibt, Neues auszuprobieren. Die Schwierigkeit besteht nun darin, von einer Kultur der Fehlervertuschung und -vermeidung weg zu kommen, hin zu einer konstruktiven Fehlerkultur.

Organisationskultur

Weil die Fehlerkultur nicht losgelöst von der übrigen Organisationskultur zu betrachten ist, sondern ein Teil derselben, lohnt sich ein genauer Blick darauf. Die Organisationskultur ist das Gedächtnis jeder Organisation. Sie speichert über die Dauer des Lebenszyklus eines Unternehmens Erfahrungen aus den Auswirkungen von Entwicklungsstufen der Organisation – beispielsweise Umstrukturierungen, hierarchische oder partizipative Führungsstile, Misserfolge und Erfolge oder Erfahrungen aus Fusionen – und ist auch für die jeweilige Fehlerkultur verantwortlich. Die Organisationskultur gliedert sich in zwei Bereiche: Ein Teil macht das explizite Wissen der Organisation aus. Der andere Anteil liegt im Verborgenen, das unbewusste implizite Wissen. Genau in diesem verborgenen Teil liegt der Schlüssel für den Kulturwandel einer Organisation.

Inhalt gegen Emotion

Will die Unternehmensführung eine neue Fehlerkultur einführen, dann arbeitet das Management-Team an inhaltlichen Themen, die sich über der »Wasseroberfläche des Eisbergs« befinden. Es werden Strategien entwickelt und Strukturmaßnahmen formuliert, dazu die Rahmenbedingungen geschaffen. Das Team arbeitet an expliziten Themen, die zugänglich und aussprechbar sind.
Geht es nun an die Umsetzung einer neuen Fehlerkultur innerhalb der Organisation, tritt der weitaus größere unbewusste Teil der Organisationskultur auf den Plan, der sich unter der »Wasseroberfläche des Eisbergs« befindet. Dies sind emotionale Themen, wie Werte, Haltungen, Einstellungen, aber auch Widerstände oder mentale Barrieren, die einem Kulturwandel entgegenstehen. Gerade diese impliziten Anteile sind ausschlaggebend für den Erfolg von Kulturwandel. Eine gezielte Auseinandersetzung mit dieser verborgenen kollektiven Intelligenz des Unternehmens bringt nachhaltigen Erfolg und Kostenersparnis, denn laut Literatur scheitern 80 % aller Change-Projekte im Bereich Kulturwandel. Bisher fehlte es jedoch an entsprechenden Methoden.

Zugang zu implizitem Wissen

Neue Methoden aus dem Wissensmanagement sind dazu in der Lage, sowohl das explizite Wissen zu heben als auch das implizite Wissen bewusst und aussprechbar zu machen. Somit wird es möglich, die individuelle Organisationskultur umfassend abzubilden. Es entsteht eine mentale Landkarte des Unternehmens. Diese ermöglicht es, den Kulturwandel treffsicher und systematisch anzugehen. Es werden genau jene Treiber und Barrieren identifiziert und adressiert, die bei der Weiterentwicklung des Unternehmens entscheidend sind. Bis jetzt endete die Implementierung eines Kulturwandels oft damit, dass Management und Führung die Verantwortung an die unteren Ebenen abtreten, weil ihnen schlicht ein Instrument fehlte, um den Fortschritt systematisch zu evaluieren. Durch die Möglichkeit, die Organisationskultur wiederholt abzubilden, wird der Veränderungsprozess nachvollziehbar und navigierbar. Neue Methoden des Wissensmanagements können den Wandel sowohl inhaltlich als auch in Zahlen messbar abbilden.

Neue Fehlerkultur implementieren

Schritt 1: Eine mentale Landkarte und Handlungsoptionen gewinnen: Anstelle von Top-
down-Anordnungen muss die gesamte Organisation bereits früh in den Kulturwandel einbezogen werden. Dazu wird das implizite Wissen der Organisation gehoben und zu einer Gruppenaussage komprimiert. Mithilfe eines mathematischen Algorithmus entsteht eine mentale Landkarte aller expliziten und impliziten Anteile der bestehenden Fehlerkultur, insbesondere auch der mentalen Barrieren und Widerstände, die sich dem Wandel in den Weg stellen. Zudem werden konkrete Handlungsoptionen gewonnen, die direkt von den Beteiligten entwickelt werden. Vorteil dieses Vorgehens ist, dass das gesamte Wissen der Organisation einfließt und sich alle einbezogen fühlen. Aus diesen Erkenntnissen werden Strukturmaßnahmen und Rahmenbedingungen entwickelt und eine Strategie für die Umsetzung von Management und Führung beschlossen. Dieser Prozess ist dank innovativer Methoden mit wenig Eingriff in die Organisation verbunden.

Schritt 2: Den eigenen Beitrag verstehen und entwickeln: Die Umsetzung eines Kulturwandels hin zu einer neuen Fehlerkultur kann aufwühlend sein, weil die persönliche Sicht auf den Umgang mit Fehlern reflektiert, erkannt und ein eigener Beitrag formuliert werden muss. Starke Reflexion und Perspektivenwechsel machen das eigene Verhalten bewusst und Ansätze für Veränderungen werden erkannt. Moderne, psychologische Methoden und neue Workshop-Formate sowie Dialogformen unterstützen diesen Prozess des Einstellungs- und Haltungswandels.

Schritt 3: Veränderung messen und nachjustieren: Damit Kulturwandel systematisch etabliert werden kann, muss die Veränderung gemessen werden. Durch Einbezug des impliziten Wissens zeigt sich vor allem auch der Wandel in der Haltung und Einstellung der Beteiligten und es kann darauf geachtet werden, ob die Menschen sich noch am Weg der Veränderung befinden, wo mentale Barrieren existieren oder neue Handlungsoptionen liegen. Mit laufender Evaluation ist Kulturwandel hin zu einer konstruktiven Fehlerkultur ein kontrollierter Prozess, der passgenau nachjustiert und nachhaltig etabliert werden kann. Die Organisation lernt mit jedem Evaluationsschritt mehr über ihren Umgang mit Fehlern und kann sich selbst von innen heraus weiterentwickeln.

Fazit: Im digitalen Wandel ist agiles Vorgehen wesentlich für den Geschäftserfolg. Agilität baut auf einer konstruktiven Fehlerkultur auf. Neue Methoden des Wissensmanagements erlauben es, die vorhandene Fehlerkultur in ihren impliziten und expliziten Teilen abzubilden und somit einen Wandel systematisch steuerbar zu machen.

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Pesch_Gabriela

Gastautorin
Gabriela Pesch
ist Geschäftsführerin der
CoreFinding ­Forschungsgesellschaft.
www.corefinding.com